Vier Fakten über die spirituelle Dimension

3. Ein direkter und bewährter Weg zur spirituellen Wirklichkeit ist die gegenstandslose Meditation.

Einen wichtigen Zugang zur spirituellen Dimension bietet die gegenstandslose Meditation. Dieser Weg, eine Art inneres Gebet, beruht auf Erfahrung von unzähligen Frauen und Männern, welche ihn während vielen Jahrhunderten in verschiedenen Kulturen und Religionen gegangen sind und welche durch ihn die spirituelle Wirklichkeit erfahren konnten. Die gegenstandslose Meditation wird ursprünglich vor allem in buddhistischen Schriften beschrieben, sie wurde aber auch in der christlichen Religion intensiv praktiziert und gelehrt. Interessanterweise wird heute eine ähnliche Meditationspraxis (Achtsamkeitsmeditation) als die zentrale Übung auch in einem nicht religiös begründeten therapeutischen Programm verwendet, das von Jon Kabat-Zinn vor rund 30 Jahren am Medical Center der University of Massachusetts entwickelt wurde. Der Gründer dieses Programms schreibt über die Erfahrung, zu welcher diese Meditationspraxis führt: “Achtsamkeit ermöglicht es jeder Erscheinung, in jenem Glanz zu leuchten, den das Wort ‘spirituell’ vermittelt.”1 Während der letzten 20 Jahre wurden Achtsamkeit-basierte Methoden zunehmend in der Psychotherapie verschiedener Störungen untersucht und verwendet (z.B.  bei Depression, Angststörungen, Borderline-Störungen). Es ist somit ein Weg, der in vielen Religionen (z.B. christliche Mystik, Zen-Buddhismus, Sufismus des Islams) und neuerdings auch losgelöst von einer Religion in der akademischen Welt (Medizin, Neurowissenschaften, Psychologie, Psychotherapie2) beschrieben wurde. Es ist eine Erfahrung, welche jede Frau und jeder Mann machen kann unabhängig von ihrer oder seiner Weltanschauung und/oder Religion.

Was ist die gegenstandslose Meditation? Es ist eine Grundform der Meditation (meist im Sitzen, aber auch im Gehen), welche vielen spirituellen Wegen gemeinsam ist. Das ‘Ziel’ der gegenstandslosen Meditation ist – wie der Name sagt – ‘ein gegenstandsfreies leeres Bewusstsein’. “Es geht dabei um eine reine Aufmerksamkeit. Nicht um eine Aufmerksamkeit auf etwas, sondern um reine Präsenz”.3 Am Anfang kann als Stütze für die Sammlung des Bewusstseins der Atem oder ein Wort zu Hilfe genommen werden. Das Bewusstsein fokussiert z.B. bei jedem Atemzug auf das Ein- und Ausatmen. Wenn Gedanken oder Gefühle auftauchen und den Geist ablenken, nimmt sie die meditierende Person ohne sich mit ihnen zu identifizieren wahr und kehrt das Bewusstsein immer wieder zurück zum Atem. Diese Form der Ausübung wird in der buddhistischen Tradition auch die Atemachtsamkeit-Meditation bezeichnet.

Es gibt auch andere Wege zur Erfahrung der spirituellen Dimension: z.B. Philosophie, die Jungsche Psychotherapie, Kunst, andere Formen des Gebets oder körperlich orientierte Wege wie Yoga. Diese setzen jedoch meist voraus, dass die spirituelle Veranlagung, die bei jedem Menschen vorhanden ist, nicht zu tief vergraben ist und dass der Mensch die Fähigkeiten besitzt, welche für diesen Weg notwendig sind (z.B. Begabung für die Kunst oder hohe intellektuelle Fähigkeiten für die Philosophie). Bei der gegenstandslosen Meditation ist die eigentliche Übung (achtsam sitzen in der Stille, frei sein von Gedanken) für jede und jeden zugänglich. Sie ist zudem dadurch, dass sie auf eine sehr lange Erfahrung zurückblickt, derjenige Weg, der am sichersten zum Ziel führt.



  1Siehe Jon Kabat-Zinn:Im Alltag Ruhe finden. Fischer Taschenverlag, 2007 (S.219). Trotz dieser Aussage bezeichnet der Autor in seinen Kursen die Achtsamkeitsmeditation nicht als spirituelle Praxis. Er ist der Ansicht, dass das Konzept der Spiritualität unser Denken einengt, indem wir versuchen, "eine innere Erfahrung in Worte zu fassen, die sich letztlich nicht verbal beschreiben lässt". Es ist ihm zudem wichtig, dass das Therapieverfahren von religiöser Überzeugung und Weltanschauung unabhängig ist und mit wissenschaftlichen Methoden überprüft wurde.
  2Für mehr Informationen siehe unter Literatur auf dieser Website.
  3Willigis Jäger:Westöstliche Weisheit, Seite 97. Theseus Verlag 2007.